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Samstag, 19. Mai 2012

Eine Geschichte

Lydia III

Hastig packte ich ein paar Sachen in eine Tasche, zog mich an und verließ meine Wohnung. Mein Auto stand vor der Tür und obwohl ich wusste, dass ich keineswegs nüchtern genug war um zu fahren, stieg ich ein. Ich fuhr langsam und versuchte die gelegentlichen Schwindelanfälle zu ignorieren und mich auf die Straße zu konzentrieren. Bis zum Haus meiner Eltern war es eine gute Stunde Fahrt. Würde mich jetzt ein Polizist anhalten wäre ich geliefert. Doch das Schicksal war gnädig mit mir und ich kam unbeschadet an. Ich sah, dass der Wagen meines Vaters nicht in der Einfahrt stand. Wahrscheinlich waren sie einkaufen. Ich sperrte die Haustür auf, schlüpfte aus meinen Schuhen und schleppte mich die Treppen zu meinem Zimmer hoch. Ohne mich auszuziehen, warf ich mich ins Bett und schlief fast umgehend ein.
Der pochende Schmerz in meinen Händen war das einzige was ich noch fühlte als mir die Augen zufielen und ich in einen unruhigen Schlaf fiel.

Ich träumte von dem Vogel vor meinem Haus. Bilder von ihm schossen mir entgegen. Aus den leeren Augenhöhlen quoll Blut und das Gefieder war zerzaust und klebrig. Wie immer, lachte die Krähe wieder über mich und das Blut tropfte stetig weiter.

Ich erwachte und blickte in das Gesicht meiner Mutter. „Lydia. Was tust du denn hier?“, fragte sie mit besorgter Miene. Ich murmelte, dass ich mich nicht wohl gefühlt hatte und darum jetzt hier sei. „Nicht wohl gefühlt.“, zischte mein Vater der gerade das Zimmer betreten hatte. „Du bist doch nur wieder verkatert, sonst nichts. Wie oft hab ich dir gesagt, dass du mit deiner Medikation nichts trinken sollst.“ Ich drehte mich zur Seite und schloss wieder die Augen. Sie würden bestimmt wieder gehen wenn sie merkten wie furchtbar ich mich fühlte. Natürlich wusste ich, dass es falsch war zu trinken und Psychopharmaka einzunehmen aber in meiner Situation, dachte ich, musste das einfach drin sein. Tatsächlich verließen die Zwei schließlich mein Zimmer aber ich konnte sie noch im Flur flüstern hören. Sie sprachen darüber wie es mit mir weitergehen sollte und darüber, dass es so nicht ging. Ich rieb mir die müden verquollenen Augen und bemerkte, dass meine Hände feucht waren. Die Wunden an meinen Händen hatten wieder zu bluten begonnen. Also entstieg ich meinem Bett, wartete einen Moment ehe das Zimmer aufgehört hatte sich zu drehen und öffnete die Tür. Sofort verstummten die zwei die immer noch vor meiner Tür standen und blickten mir entgegen. „ Meine Hände tun weh. Ich glaub ich habe mich geschnitten“, sagte ich und streckte sie ihnen entgegen. „Unabsichtlich“, setzte ich nach.

Nachdem meine Verletzungen versorgt worden waren, kochte meine Mutter Mittagessen. Wir drei aßen zusammen und versuchten ein anderes Gesprächsthema zu finden als meine gescheiterte Existenz. Es war ein entspanntes und erholsames Wochenende. Ich tankte wieder Kraft und beschloss von nun an das Trinken einzuschränken, mich auf die Arbeit zu konzentrieren und lachende Vögel einfach zu ignorieren. Als ich das Haus meiner Eltern verließ klang das nach einem guten Plan doch es sollte anders kommen.

Ich war sehr erleichtert als ich in meine Straße bog und vor meinem Haus nichts als den leeren Mauervorsprung sah. Kein Vogel der auf mich wartete und meine guten Vorsätze ein neues und normales Leben zu beginnen, vernichten würde.
Doch als ich die Tür zu meiner Wohnung aufsperrte, bemerkte ich den Gestank. Ich ignorierte das mulmige Gefühl das in mir hochstieg und sagte mir, dass es einfach nur die abgestandener Luft war die so roch. Auf den ersten Blick sah alles so aus wie ich es am Tag zuvor hinterlassen hatte. Das Wohnzimmer war dunkel und angenehm kühl. Ich betrat den Raum und ging auf das Fenster zu. Das Zimmer wurde mit grellem Licht durchflutet als ich die Vorhänge öffnete und für kurze Zeit war ich blind. Als sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten sah ich sie. Es waren Tausende. Überall wo man hinblickte krümmten sich kleine, blassgelbe Würmer. Sie waren an den Wänden, auf dem Boden, auf den Möbeln sogar an den Fensterscheiben klebten sie. Ich stolperte ein paar Schritte rückwärts und fiel dabei über die Tasche die ich geistesabwesend abgestellt hatte. Dabei stieß ich mir den Rücken an der Tischkante und schrie auf. Der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen und für kurze Zeit überlegte ich ob ich gerade dabei war den Verstand zu verlieren und ob es, sollte es nicht so sein, vielleicht das Beste wäre.
Irgendetwas in mir zwang mich jedoch den Gedanken zu verwerfen. Ich stand also wieder auf, schüttelte die Maden ab die an mir hoch krochen und holte den Staubsauger aus dem Küchenschrank. Es dauerte eine halbe Ewigkeit bis ich die Viecher alle erwischt hatte doch woher sie eigentlich gekommen waren, blieb ungeklärt. Ich konnte nichts finden, was dieses Aufkommen gerechtfertigt hätte und so entsorgte ich den Staubsaugerbeutel mitsamt seines krabbelnden Inhaltes und beschloss die Sache einfach zu verdrängen.
Verdrängung ist unser Freund“ sagte ich leise. Immer und immer wieder murmelte ich diese Worte. Auch als ich im Schlafzimmer das T-Shirt fand das ich Freitag getragen hatte und das Blut daran bemerkte, blieb ich dabei.

Ich ging am nächsten Morgen früh außer Haus und vermied es das Wohnzimmer zu betreten. Ich würde mir einfach auf dem Weg zur Arbeit einen Kaffee holen, beschloss ich. Sean war bereits im Laden und begrüßte mich freundlich. „Wie war denn ihr Wochenende?“, fragte er. Ich erfand eine nette Party bei Freunden und ein Abendessen mit einem Verehrer um mir die Scham zu ersparen zuzugeben was ich wirklich getan hatte. „Na das klingt doch nett“, meinte Sean und lächelte mich an. Sein Blick fiel auf meine bandagierten Hände und er erkundigte sich was denn passiert sei. „ Mein Badezimmerspiegel ist zerbrochen und als ich die Scherben beseitigen wollte habe ich mich geschnitten“, antwortete ich wohl ein wenig zu schnell denn Sean zog die Augenbrauen hoch und schwieg eine Weile während er mich mit seinem Blick durchbohrte. Für kurze Zeit hörte ich in meinem inneren wieder das Lachen der Krähe und glaubte eine gewisse Belustigung in Seans Augen zu sehen. „Tja“, sagte er schließlich. „vielleicht könnten sie sich mal das Preisdings ansehen. Irgendwie funktioniert es nicht mehr so richtig. Sollte es Probleme geben, ich bin hinten im Lager.“ Ich nickte, lächelte und widmete mich der Etikettiermaschine die Sean immer als „Preisdings“ bezeichnete.

Der Tag verging langsam und schleppend. Es kamen kaum Kunden und die die kamen, brauchten keine Beratung. Ich schloss den Laden um 7 ab und machte mich auf den Weg nach Hause. Vor dem Pub in das es mich so oft gezogen hatte wenn ich nicht nach Hause wollte, standen kleine Tische. Die untergehende Sonne schien direkt in die Gesichter derer die sich dort niedergelassen hatten um sich noch ein paar Bier nach der Arbeit zu genehmigen. Ich widerstand dem Drang das gleiche zu tun und ging an ihnen vorbei, bog um die Ecke in meine Straße und atmete auf. Wieder war der Mauervorsprung vor meinem Haus leer. Weit und breit war kein Vogel zu sehen. Erleichtert betrat ich das Haus und ging die Stufen zu meiner Wohnung hoch. Schon als ich die Tür nur einen Spalt geöffnet hatte, schoss mir der gleiche Gestank wie am Tag davor entgegen. Kurze Zeit stand ich regungslos da und versuchte den Mut aufzubringen, einzutreten und einen Blick ins Wohnzimmer zu werfen. Schließlich tat ich es und als ich die Tür zu dem Zimmer öffnete, bot sich mir der gleiche Anblick von gestern. Alles war voller Maden. Sie waren überall und der Gestank war unerträglich. Da fing ich an zu schreien und rannte aus meiner Wohnung, die Stufen hinab und aus dem Haus. Auf der Straße angekommen, tat ich das was ich meistens tat wenn ich nicht mehr weiter wusste, ich fing an zu weinen.

... to be continued


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