Hastig
packte ich ein paar Sachen in eine Tasche, zog mich an und verließ
meine Wohnung. Mein Auto stand vor der Tür und obwohl ich wusste,
dass ich keineswegs nüchtern genug war um zu fahren, stieg ich ein.
Ich fuhr langsam und versuchte die gelegentlichen Schwindelanfälle
zu ignorieren und mich auf die Straße zu konzentrieren. Bis zum Haus
meiner Eltern war es eine gute Stunde Fahrt. Würde mich jetzt ein
Polizist anhalten wäre ich geliefert. Doch das Schicksal war gnädig
mit mir und ich kam unbeschadet an. Ich sah, dass der Wagen meines
Vaters nicht in der Einfahrt stand. Wahrscheinlich waren sie
einkaufen. Ich sperrte die Haustür auf, schlüpfte aus meinen
Schuhen und schleppte mich die Treppen zu meinem Zimmer hoch. Ohne
mich auszuziehen, warf ich mich ins Bett und schlief fast umgehend
ein. 
Der
pochende Schmerz in meinen Händen war das einzige was ich noch
fühlte als mir die Augen zufielen und ich in einen unruhigen Schlaf
fiel. 
Ich
träumte von dem Vogel vor meinem Haus. Bilder von ihm schossen mir
entgegen. Aus den leeren Augenhöhlen  quoll Blut und das Gefieder
war zerzaust und klebrig. Wie immer, lachte die Krähe wieder über
mich und das Blut tropfte stetig weiter.  
Ich
erwachte und blickte in das Gesicht meiner Mutter. „Lydia. Was tust
du denn hier?“, fragte sie mit besorgter Miene. Ich murmelte, dass
ich mich nicht wohl gefühlt hatte und darum jetzt hier sei. „Nicht
wohl gefühlt.“, zischte mein Vater der gerade das Zimmer betreten
hatte. „Du bist doch nur wieder verkatert, sonst nichts. Wie oft
hab ich dir gesagt, dass du mit deiner Medikation nichts trinken
sollst.“ Ich drehte mich zur Seite und schloss wieder die Augen.
Sie würden bestimmt wieder gehen wenn sie merkten  wie furchtbar ich
mich fühlte. Natürlich wusste ich, dass es falsch war zu trinken
und Psychopharmaka einzunehmen aber in meiner Situation, dachte ich,
musste das einfach drin sein. Tatsächlich verließen die Zwei
schließlich mein Zimmer aber ich konnte sie noch im Flur flüstern
hören. Sie sprachen darüber wie es mit mir weitergehen sollte und
darüber, dass es so nicht ging. Ich rieb mir die müden verquollenen
Augen und bemerkte, dass meine Hände feucht waren. Die Wunden an
meinen Händen hatten wieder zu bluten begonnen. Also entstieg ich
meinem Bett, wartete einen Moment ehe das Zimmer aufgehört hatte
sich zu drehen und öffnete die Tür. Sofort verstummten die zwei die
immer noch vor meiner Tür standen und blickten mir entgegen. „
Meine Hände tun weh. Ich glaub ich habe mich geschnitten“, sagte
ich und streckte sie ihnen entgegen. „Unabsichtlich“, setzte ich
nach.  
Nachdem
meine Verletzungen versorgt worden waren, kochte meine Mutter
Mittagessen. Wir drei aßen zusammen und versuchten ein anderes
Gesprächsthema zu finden als meine gescheiterte Existenz. Es war ein
entspanntes und erholsames Wochenende. Ich tankte wieder Kraft und
beschloss von nun an das Trinken einzuschränken, mich auf die Arbeit
zu konzentrieren und lachende Vögel einfach zu ignorieren. Als ich
das Haus meiner Eltern verließ klang das nach einem guten Plan doch
es sollte anders kommen.
Ich
war sehr erleichtert als ich in meine Straße bog und vor meinem Haus
nichts als den leeren Mauervorsprung sah. Kein Vogel der auf mich
wartete und meine guten Vorsätze ein neues und normales Leben zu
beginnen, vernichten würde.
Doch
als ich die Tür zu meiner Wohnung aufsperrte, bemerkte ich den
Gestank. Ich ignorierte das mulmige Gefühl das in mir hochstieg und
sagte mir, dass es einfach nur die abgestandener Luft war die so
roch. Auf den ersten Blick sah alles so aus wie ich es am Tag zuvor
hinterlassen hatte. Das Wohnzimmer war dunkel und angenehm kühl. Ich
betrat den Raum und ging auf das Fenster zu. Das Zimmer wurde mit
grellem Licht durchflutet als ich die Vorhänge öffnete und für
kurze Zeit war ich blind. Als sich meine Augen an die Helligkeit
gewöhnt hatten sah ich sie. Es waren Tausende. Überall wo man
hinblickte krümmten sich kleine, blassgelbe Würmer. Sie waren an
den Wänden, auf dem Boden, auf den Möbeln sogar an den
Fensterscheiben klebten sie. Ich stolperte ein paar Schritte
rückwärts und fiel dabei über die Tasche die ich geistesabwesend
abgestellt hatte. Dabei stieß ich mir den Rücken an der Tischkante
und schrie auf. Der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen und
für kurze Zeit überlegte ich ob ich gerade dabei war den Verstand
zu verlieren und ob es, sollte es nicht so sein, vielleicht das Beste
wäre. 
Irgendetwas
in mir zwang mich  jedoch den Gedanken zu verwerfen. Ich stand also
wieder auf, schüttelte die Maden ab die an mir hoch krochen und
holte den Staubsauger aus dem Küchenschrank. Es dauerte eine halbe
Ewigkeit bis ich die Viecher alle erwischt hatte doch woher sie
eigentlich gekommen waren, blieb ungeklärt. Ich konnte nichts
finden, was dieses Aufkommen gerechtfertigt hätte und so entsorgte
ich den Staubsaugerbeutel mitsamt seines krabbelnden Inhaltes und
beschloss die Sache einfach zu verdrängen. 
„Verdrängung
ist unser Freund“ sagte ich leise. Immer und immer wieder murmelte
ich diese Worte. Auch als ich im Schlafzimmer das T-Shirt fand das
ich Freitag getragen hatte und das Blut daran bemerkte, blieb ich
dabei. 
Ich
ging am nächsten Morgen früh außer Haus und vermied es das
Wohnzimmer zu betreten. Ich würde mir einfach auf dem Weg zur Arbeit
einen Kaffee holen, beschloss ich. Sean war bereits im Laden und
begrüßte mich freundlich. „Wie war denn ihr Wochenende?“,
fragte er. Ich erfand eine nette Party bei Freunden und ein
Abendessen mit einem Verehrer um mir die Scham zu ersparen zuzugeben
was ich wirklich getan hatte. „Na das klingt doch nett“, meinte
Sean und lächelte mich an. Sein Blick fiel auf meine bandagierten
Hände und er erkundigte sich was denn passiert sei. „ Mein 
Badezimmerspiegel ist zerbrochen und als ich die Scherben beseitigen
wollte habe ich mich geschnitten“, antwortete ich wohl ein wenig zu
schnell denn Sean zog die Augenbrauen hoch und schwieg eine Weile
während er mich mit seinem Blick durchbohrte. Für kurze Zeit hörte
ich in meinem inneren wieder das Lachen der Krähe und glaubte eine
gewisse Belustigung in Seans Augen zu sehen. „Tja“, sagte er
schließlich. „vielleicht könnten sie sich mal das Preisdings
ansehen. Irgendwie funktioniert es nicht mehr so richtig. Sollte es
Probleme geben, ich bin hinten im Lager.“ Ich nickte, lächelte und
widmete mich der Etikettiermaschine die Sean immer als „Preisdings“
bezeichnete.
Der
Tag verging langsam und schleppend. Es kamen kaum Kunden und die die
kamen, brauchten keine Beratung. Ich schloss den Laden um 7 ab und
machte mich auf den Weg nach Hause. Vor dem Pub in das es mich so oft
gezogen hatte wenn ich nicht nach Hause wollte, standen kleine
Tische. Die untergehende Sonne schien direkt in die Gesichter derer
die sich dort niedergelassen hatten um sich noch ein paar Bier nach
der Arbeit zu genehmigen. Ich widerstand dem Drang das gleiche zu tun
und ging an ihnen vorbei, bog um die Ecke in meine Straße und atmete
auf. Wieder war der Mauervorsprung vor meinem Haus leer. Weit und
breit war kein Vogel zu sehen. Erleichtert betrat ich das Haus und
ging die Stufen zu meiner Wohnung hoch. Schon als ich die Tür nur
einen Spalt geöffnet hatte, schoss mir der gleiche Gestank wie am
Tag davor entgegen. Kurze Zeit stand ich regungslos da und versuchte
den Mut aufzubringen, einzutreten und einen Blick ins Wohnzimmer zu
werfen. Schließlich tat ich es und als ich die Tür zu dem Zimmer
öffnete, bot sich mir der gleiche Anblick von gestern. Alles war
voller Maden. Sie waren überall und der Gestank war unerträglich.
Da fing ich an zu schreien und rannte aus meiner Wohnung, die Stufen
hinab und aus dem Haus. Auf der Straße angekommen, tat ich das was
ich meistens tat wenn ich nicht mehr weiter wusste, ich fing an zu
weinen. 
 
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