Julia
kam 10 Minuten nachdem ich sie angerufen hatte. Sie sah besorgt aus.
Offensichtlich hatte sie mein hysterisches Gefasel von Maden und
lachenden Krähen beunruhigt. Sie nahm mich in die Arme strich mir
über den Rücken. „Ich habe leider nicht viel verstanden von dem
was du gesagt hast, aber es hat sich ein wenig danach angehört, als
würdest du Hilfe brauchen. Kann das sein?“, flüsterte sie mir ins
Ohr. Ich befreite mich aus ihrer Umarmung und nickte. „Meine
Wohnung wird von Maden heimgesucht. Sie kommen immer wieder. Gestern
habe ich sie noch alle beseitigt und heute komme ich nach Hause und
sie sind wieder da.“. Ungläubig runzelte Julia die Stirn und
fragte:“ Maden? Bist du sicher“. Ungeduldig und wütend packte
ich sie am Arm, zog sie ins Haus und die Stiegen hoch in den zweiten
Stock. Die Tür zu meiner Wohnung stand noch offen. Ich hatte sie bei
meiner Flucht nicht geschlossen. Julia blickte mich kurz fragend an
und ging schließlich vor. Als sie wenige Sekunden später herauskam,
war sie fast grün im Gesicht. „Okay“, meinte sie. „Okay, da
sind wirklich viele viele Maden in deiner Wohnung und du solltest
auch mal daran denken zu lüften Lydia. Da drinnen richt es nach
Kloake“. „Verdammt noch mal das sag ich doch“, erwiderte ich
und versuchte dabei den leicht hysterischen Unterton in meiner Stimme
zu unterdrücken.
Wir
warteten im Pub auf Liam, Julias Freund. Gleich nachdem wir
beschlossen hatten, dass es das einzig vernünftige wäre Einen
trinken zu gehen, hatte sie ihn angerufen. Er kam als wir beim
zweiten Bier waren und trank auch noch eins. Als wir alle fertig
waren gingen wir zu meiner Wohnung. Natürlich hatte er uns nicht
geglaubt. Wahrscheinlich würde er ein paar Regenwürmer vorfinden,
hatte er noch grinsend gemeint doch auch Liam kam eher blässlich aus
der Wohnung nachdem er einen Blick ins Zimmer geworfen hatte. „Die
müssen doch wo herkommen. Wahrscheinlich hast du irgendwas Essbares
vergammeln lassen.“, sagte er nachdem er kurze Zeit geschwiegen
hatte. „Ich hab doch alles abgesucht, Liam“, meinte ich etwas
genervt. „Ich habe keine Ahnung wo die herkommen.“
Wir
überlegten eine Weile bis wir beschlossen rein zu gehen und die
Ursache dieser Heimsuchung zu finden. Wieder waren nur das Wohnzimmer
und die Küche befallen. Julia riss die Fenster auf um den Geruch
erträglicher zu machen. Als ich in der kleinen Kochnische stand fiel
mein Blick auf den Backofen aus dem stetig neue Würmer fielen. Ich
erinnerte mich an den Traum von der Krähe aus deren Augenhöhlen
Blut tropfte und plötzlich war mir klar woher der Gestank und auch
die Maden kamen. „Liam. Wärst du bitte so nett“, krächzte ich
etwas heißer und zeigte auf die Tür des Ofens. Er kam auf mich zu
und ich ging zur Seite um ihm Platz zu machen. Langsam öffnete er
die Tür, blickte hinein und schloss sie wieder. Ungläubig sah er
mich an, sagte aber nichts. Immer noch schweigend nahm er zwei
Topfhandschuhe die an der Wand hingen und öffnete erneut die Tür
des Ofens. Mit sichtlichem Ekel im Gesicht griff er nach dem Inhalt
und holte etwas heraus das ich zunächst nicht einordnen konnte. Bei
näherer Betrachtung fiel mir mit Schrecken auf, dass es sich um den
Vogel handelte der bis vor Kurzem noch auf dem Mauervorsprung vor
meinem Haus gesessen hatte.
„Ist
das dein Ernst Lydia?“, zischte er. „Du legst einen toten Vogel
in dein Backrohr und wunderst dich wenn das passiert?!“ Er zeigte
um sich auf die Horden von kleinen Würmern. Ich versuchte etwas zu
sagen aber aus meinem Mund kamen nur undefinierbare Laute. Auch Julia
war nun in die Küche gekommen und blickte auf das Tier in Liams
Hand. „Wie kann das sein Lyd?“, fragte sie mich leise. Doch
wieder konnte ich keine Antwort geben. Ich wusste es selbst nicht.
Ich hatte nicht die geringste Ahnung woher die tote Krähe kam.
Schließlich fing ich leise an: “Vielleicht ist er reingeflogen und
ich habe es nicht bemerkt oder…“. „Nicht bemerkt?“ schrie
Liam. „Wie zum Teufel soll das gehen? Warum sollte ein Vogel in
deinen Ofen fliegen? Ich begreife das einfach nicht Lydia.“. Er
wandte sich um und zog aus einer Küchenschublade einen Müllbeutel
in den er die tote Krähe packte. Beide sahen mich jetzt an und schon
wieder kamen mir die Tränen. Julia nahm mich in die Arme und meinte
zu ihrem Freund:“ Bitte wirf das weg wenn du gehst. Ich werde noch
eine Weile bleiben.“ Bevor er die Tür hinter sich ins Schloss warf
hörte ich noch die leisen Worte:“ Duncan hatte recht“.
Es
war schon fast Mitternacht als wir es geschafft hatten alle Maden zu
beseitigen. Wir saßen nun an meinem Küchentisch, tranken Bier und
versuchten eine Erklärung für das Ganze zu finden. Julia versuchte
so gut sie konnte mir zu glauben als ich beteuerte nicht zu wissen
woher der Vogel kam. Doch in ihren Augen sah ich, dass sie mich,
genauso wie Liam für verrückt hielt. In dieser Nacht blieb sie bei
mir und versprach, dass alles wieder in Ordnung kommen würde. In
diesem Moment glaubte ich ihr. Das war das letzte Mal, dass ich mit
Julia gesprochen habe. Sie ignorierte meine Anrufe und Emails und
auch in dem Pub das wir so gerne hatten, sah ich sie nicht mehr. Ein
paar Wochen später traf ich sie zufällig auf der Straße doch sie
lief einfach an mir vorbei, so als würde sie mich nicht kennen.
Die
nächsten Wochen waren quälend. Ich versuchte die schrecklichen
Ereignisse zu vergessen und mich auf mich zu konzentrieren. An den
Wochenenden fuhr ich zu meinen Eltern. Manchmal waren auch John,
seine Frau Carrie und ihr Sohn Daniel dabei. Die beiden waren so
glücklich mit dem was sie hatten. Ich beneidete sie so sehr, dass es
weh tat. Unter der Woche ging ich in den Buchladen, erfand
Geschichten um Sean zu beweisen, dass ich ein Leben hatte und
versuchte nicht an der Wahrheit, zu zerbrechen.
An
diesem Tag beschloss ich zu Duncan zu fahren um die letzten Dinge zu
holen die ich noch bei ihm in der Wohnung hatte. Im Grunde genommen
waren es völlig belanglose Kleinigkeiten, die ich ohne großen
finanziellen Aufwand nach kaufen hätte können, doch ich fuhr
dennoch hin.
Ich
war bereit zu diesem Treffen oder besser gesagt glaubte ich es zu
sein. Ich wollte ihm zeigen, dass ich eine neue, völlig unabhängige
Lydia geworden war.
Doch
als er die Tür öffnete, spürte ich wie mein Herz für kurze Zeit
stehen blieb. Dieses Gesicht in das ich nächtelang geblickt hatte
währen er schlief, erinnerte mich sofort wieder an den Schmerz des
Verlustes und ich konnte seinem Angebot nicht widerstehen auf ein
Bier hinein zu kommen. Im Nachhinein betrachtet, hätte ich das nicht
tun sollen.
Die
Wohnung hatte sich kaum verändert. Nur die Bilder von uns waren
verschwunden. „Bastard“, flüsterte ich während Duncan in der
Küche zwei Falschen Bier holte. Wir tranken zunächst schweigend auf
seiner Couch während ich versuchte mich zu überzeugen, einfach zu
gehen. Doch ich ignorierte meine innere Stimme, wie ich es so oft
schon getan hatte, und blieb. Langsam lockerte sich die Stimmung und
wir tranken weiter bis ich schließlich begann von uns zu sprechen.
Ihm war das ganz offensichtlich unangenehm und er versuchte das Thema
zu wechseln, doch ich ließ nicht locker. Der Abend endete wie so
viele davor. Betrunken und völlig hysterisch redete ich auf ihn ein
zurück zu kommen und warf ihm noch das letzte bisschen Würde vor
die Füße als ich auf die Knie sank und bettelte. Doch er schüttelte
nur mit dem Kopf, blickte auf mich herab und meinte: „Lyd, du
brauchst Hilfe“.
An
diesem Abend half ich mir indem ich mich ins Pub verkroch und dort
trank bis ich kein Geld mehr hatte. Es muss spät gewesen sein als
ich betrunken und verheult zu Hause ankam und mich ins Bett warf.
Der
nächste Tag war die Hölle. Ich erwachte mit hämmermden
Kopfschmerzen und völlig verquollen Augen. Nur mit Mühe und einer
Verspätung von fast einer Stunde schaffte ich es in die Arbeit. Gott
sei dank war Sean nicht besonders wütend. Gerade er kannte wohl die
Tücken einer durchzechten Nacht.
Pünktlich
um 7 verließ ich den Buchladen und machte mich auf den Weg nach
Hause. Ich wollte nur noch unter die Dusche und schlafen.
Endlich
in meiner Wohnung angekommen, zog ich mich aus und betrat das
Badezimmer. Auf dem Boden vor der Dusche lagen noch T-Shirt und Hose
von gestern. Die Sachen fühlten sich feucht und klebrig an als ich
sie aufhob. Als ich auf meine blutigen Hände herab blickte, traf
mich die Erinnerung an den letzten Abend wie ein Blitz. Duncan.
Ich
lag im Bett als ich die Sirenen schnell näher kommen hörte. Sie
verstummten direkt vor meinem Haus. Nach einer Weile klopfte es an
meiner Tür immer und immer wieder. Ich blieb liegen, schloss meine
Augen und sagte mir: „Verdrängung ist unser Freund“. Immer und
immer wieder.
The End
puh, grusel ... :)
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