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Montag, 28. Mai 2012

Eine Geschichte

Lydia IV



Julia kam 10 Minuten nachdem ich sie angerufen hatte. Sie sah besorgt aus. Offensichtlich hatte sie mein hysterisches Gefasel von Maden und lachenden Krähen beunruhigt. Sie nahm mich in die Arme strich mir über den Rücken. „Ich habe leider nicht viel verstanden von dem was du gesagt hast, aber es hat sich ein wenig danach angehört, als würdest du Hilfe brauchen. Kann das sein?“, flüsterte sie mir ins Ohr. Ich befreite mich aus ihrer Umarmung und nickte. „Meine Wohnung wird von Maden heimgesucht. Sie kommen immer wieder. Gestern habe ich sie noch alle beseitigt und heute komme ich nach Hause und sie sind wieder da.“. Ungläubig runzelte Julia die Stirn und fragte:“ Maden? Bist du sicher“. Ungeduldig und wütend packte ich sie am Arm, zog sie ins Haus und die Stiegen hoch in den zweiten Stock. Die Tür zu meiner Wohnung stand noch offen. Ich hatte sie bei meiner Flucht nicht geschlossen. Julia blickte mich kurz fragend an und ging schließlich vor. Als sie wenige Sekunden später herauskam, war sie fast grün im Gesicht. „Okay“, meinte sie. „Okay, da sind wirklich viele viele Maden in deiner Wohnung und du solltest auch mal daran denken zu lüften Lydia. Da drinnen richt es nach Kloake“. „Verdammt noch mal das sag ich doch“, erwiderte ich und versuchte dabei den leicht hysterischen Unterton in meiner Stimme zu unterdrücken.

Wir warteten im Pub auf Liam, Julias Freund. Gleich nachdem wir beschlossen hatten, dass es das einzig vernünftige wäre Einen trinken zu gehen, hatte sie ihn angerufen. Er kam als wir beim zweiten Bier waren und trank auch noch eins. Als wir alle fertig waren gingen wir zu meiner Wohnung. Natürlich hatte er uns nicht geglaubt. Wahrscheinlich würde er ein paar Regenwürmer vorfinden, hatte er noch grinsend gemeint doch auch Liam kam eher blässlich aus der Wohnung nachdem er einen Blick ins Zimmer geworfen hatte. „Die müssen doch wo herkommen. Wahrscheinlich hast du irgendwas Essbares vergammeln lassen.“, sagte er nachdem er kurze Zeit geschwiegen hatte. „Ich hab doch alles abgesucht, Liam“, meinte ich etwas genervt. „Ich habe keine Ahnung wo die herkommen.“

Wir überlegten eine Weile bis wir beschlossen rein zu gehen und die Ursache dieser Heimsuchung zu finden. Wieder waren nur das Wohnzimmer und die Küche befallen. Julia riss die Fenster auf um den Geruch erträglicher zu machen. Als ich in der kleinen Kochnische stand fiel mein Blick auf den Backofen aus dem stetig neue Würmer fielen. Ich erinnerte mich an den Traum von der Krähe aus deren Augenhöhlen Blut tropfte und plötzlich war mir klar woher der Gestank und auch die Maden kamen. „Liam. Wärst du bitte so nett“, krächzte ich etwas heißer und zeigte auf die Tür des Ofens. Er kam auf mich zu und ich ging zur Seite um ihm Platz zu machen. Langsam öffnete er die Tür, blickte hinein und schloss sie wieder. Ungläubig sah er mich an, sagte aber nichts. Immer noch schweigend nahm er zwei Topfhandschuhe die an der Wand hingen und öffnete erneut die Tür des Ofens. Mit sichtlichem Ekel im Gesicht griff er nach dem Inhalt und holte etwas heraus das ich zunächst nicht einordnen konnte. Bei näherer Betrachtung fiel mir mit Schrecken auf, dass es sich um den Vogel handelte der bis vor Kurzem noch auf dem Mauervorsprung vor meinem Haus gesessen hatte.

„Ist das dein Ernst Lydia?“, zischte er. „Du legst einen toten Vogel in dein Backrohr und wunderst dich wenn das passiert?!“ Er zeigte um sich auf die Horden von kleinen Würmern. Ich versuchte etwas zu sagen aber aus meinem Mund kamen nur undefinierbare Laute. Auch Julia war nun in die Küche gekommen und blickte auf das Tier in Liams Hand. „Wie kann das sein Lyd?“, fragte sie mich leise. Doch wieder konnte ich keine Antwort geben. Ich wusste es selbst nicht. Ich hatte nicht die geringste Ahnung woher die tote Krähe kam. Schließlich fing ich leise an: “Vielleicht ist er reingeflogen und ich habe es nicht bemerkt oder…“. „Nicht bemerkt?“ schrie Liam. „Wie zum Teufel soll das gehen? Warum sollte ein Vogel in deinen Ofen fliegen? Ich begreife das einfach nicht Lydia.“. Er wandte sich um und zog aus einer Küchenschublade einen Müllbeutel in den er die tote Krähe packte. Beide sahen mich jetzt an und schon wieder kamen mir die Tränen. Julia nahm mich in die Arme und meinte zu ihrem Freund:“ Bitte wirf das weg wenn du gehst. Ich werde noch eine Weile bleiben.“ Bevor er die Tür hinter sich ins Schloss warf hörte ich noch die leisen Worte:“ Duncan hatte recht“.

Es war schon fast Mitternacht als wir es geschafft hatten alle Maden zu beseitigen. Wir saßen nun an meinem Küchentisch, tranken Bier und versuchten eine Erklärung für das Ganze zu finden. Julia versuchte so gut sie konnte mir zu glauben als ich beteuerte nicht zu wissen woher der Vogel kam. Doch in ihren Augen sah ich, dass sie mich, genauso wie Liam für verrückt hielt. In dieser Nacht blieb sie bei mir und versprach, dass alles wieder in Ordnung kommen würde. In diesem Moment glaubte ich ihr. Das war das letzte Mal, dass ich mit Julia gesprochen habe. Sie ignorierte meine Anrufe und Emails und auch in dem Pub das wir so gerne hatten, sah ich sie nicht mehr. Ein paar Wochen später traf ich sie zufällig auf der Straße doch sie lief einfach an mir vorbei, so als würde sie mich nicht kennen.

Die nächsten Wochen waren quälend. Ich versuchte die schrecklichen Ereignisse zu vergessen und mich auf mich zu konzentrieren. An den Wochenenden fuhr ich zu meinen Eltern. Manchmal waren auch John, seine Frau Carrie und ihr Sohn Daniel dabei. Die beiden waren so glücklich mit dem was sie hatten. Ich beneidete sie so sehr, dass es weh tat. Unter der Woche ging ich in den Buchladen, erfand Geschichten um Sean zu beweisen, dass ich ein Leben hatte und versuchte nicht an der Wahrheit, zu zerbrechen.

An diesem Tag beschloss ich zu Duncan zu fahren um die letzten Dinge zu holen die ich noch bei ihm in der Wohnung hatte. Im Grunde genommen waren es völlig belanglose Kleinigkeiten, die ich ohne großen finanziellen Aufwand nach kaufen hätte können, doch ich fuhr dennoch hin.
Ich war bereit zu diesem Treffen oder besser gesagt glaubte ich es zu sein. Ich wollte ihm zeigen, dass ich eine neue, völlig unabhängige Lydia geworden war.

Doch als er die Tür öffnete, spürte ich wie mein Herz für kurze Zeit stehen blieb. Dieses Gesicht in das ich nächtelang geblickt hatte währen er schlief, erinnerte mich sofort wieder an den Schmerz des Verlustes und ich konnte seinem Angebot nicht widerstehen auf ein Bier hinein zu kommen. Im Nachhinein betrachtet, hätte ich das nicht tun sollen.

Die Wohnung hatte sich kaum verändert. Nur die Bilder von uns waren verschwunden. „Bastard“, flüsterte ich während Duncan in der Küche zwei Falschen Bier holte. Wir tranken zunächst schweigend auf seiner Couch während ich versuchte mich zu überzeugen, einfach zu gehen. Doch ich ignorierte meine innere Stimme, wie ich es so oft schon getan hatte, und blieb. Langsam lockerte sich die Stimmung und wir tranken weiter bis ich schließlich begann von uns zu sprechen. Ihm war das ganz offensichtlich unangenehm und er versuchte das Thema zu wechseln, doch ich ließ nicht locker. Der Abend endete wie so viele davor. Betrunken und völlig hysterisch redete ich auf ihn ein zurück zu kommen und warf ihm noch das letzte bisschen Würde vor die Füße als ich auf die Knie sank und bettelte. Doch er schüttelte nur mit dem Kopf, blickte auf mich herab und meinte: „Lyd, du brauchst Hilfe“.

An diesem Abend half ich mir indem ich mich ins Pub verkroch und dort trank bis ich kein Geld mehr hatte. Es muss spät gewesen sein als ich betrunken und verheult zu Hause ankam und mich ins Bett warf.

Der nächste Tag war die Hölle. Ich erwachte mit hämmermden Kopfschmerzen und völlig verquollen Augen. Nur mit Mühe und einer Verspätung von fast einer Stunde schaffte ich es in die Arbeit. Gott sei dank war Sean nicht besonders wütend. Gerade er kannte wohl die Tücken einer durchzechten Nacht.
Pünktlich um 7 verließ ich den Buchladen und machte mich auf den Weg nach Hause. Ich wollte nur noch unter die Dusche und schlafen.

Endlich in meiner Wohnung angekommen, zog ich mich aus und betrat das Badezimmer. Auf dem Boden vor der Dusche lagen noch T-Shirt und Hose von gestern. Die Sachen fühlten sich feucht und klebrig an als ich sie aufhob. Als ich auf meine blutigen Hände herab blickte, traf mich die Erinnerung an den letzten Abend wie ein Blitz. Duncan.

Ich lag im Bett als ich die Sirenen schnell näher kommen hörte. Sie verstummten direkt vor meinem Haus. Nach einer Weile klopfte es an meiner Tür immer und immer wieder. Ich blieb liegen, schloss meine Augen und sagte mir: „Verdrängung ist unser Freund“. Immer und immer wieder.

The End


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